Eine Achterbahn der Emotionen
“Kanelbullar” in Göteborg |
Lasst mich heute bloß wenige Minuten nach dem Posten des letzten Eintrags starten: Ich saß mit einer meiner Mit-Freiwilligen in der Küche und habe mit den Äpfeln aus unserem Garten Apfelmus gekocht, als ihr Blick plötzlich aus dem Fenster hinter mir schweifte. Kurz darauf hörte ich einen Satz, der mein Herz schneller schlagen ließ: „Ein deutsches Auto? Oldesloer Kennzeichen?“ Sofort wurde alles Stehen und Liegen gelassen und ich bin nach draußen gestürmt. Meine Eltern waren da! Und… ich wusste vorher nichts davon. Ohne mein Wissen haben die beiden ein gemütliches Ferienhaus in der Nähe gebucht und mich über das Wochenende besucht. Obwohl wir die meiste Zeit zusammen in besagtem Ferienhaus verbracht und einfach geredet haben, hat dieser Besuch mir sehr gut getan. So weit weg von zuhause zu sein und täglich neue Eindrücke und Gesichter zu sehen, ist doch stressiger als man denkt. In diesen drei Tagen konnte ich endlich mal wieder komplett runterfahren.
Am Montag sind die beiden wieder abgereist, doch bereits zwei Tage später folgte das nächste Ereignis: ich bin krank geworden. Eine Woche lang war ich an mein Bett gefesselt. In der Zeit habe ich gemerkt, wie sehr sich die Menschen hier doch um einen kümmern. Meine Mit-Freiwilligen haben mir alles aus dem Supermarkt mitgebracht, was ich gebraucht habe. Doch viel rührender war die Sorge meiner beiden Mentoren. Abends um 21 Uhr kam eine von ihnen noch vorbei, um mit mir zusammen beim Arzt anzurufen und mir Medikamente zu bringen. Auch die Tage danach haben sie sich täglich gemeldet, um sich zu erkunden, wie es mir mittlerweile geht.
Glücklicherweise war ich aber pünktlich zum Konfirmation-Camp am folgenden Wochenende wieder gesund. Obwohl wir bei diesem viel in der Küche geholfen und kaum etwas mit den Konfirmanden gemacht haben, hat es sehr viel Spaß gemacht. Wir haben viel Zeit mit den anderen, schwedischen Jugendleitern verbracht und konnten so neue Kontakte knüpfen.
Denn man braucht auch Kontakte außerhalb unserer vier Wände. Wenn man immer nur dieselben drei Gesichter sieht, fühlt man sich irgendwann doch sehr einsam und allein. Das habe ich in der Woche nach dem Konfirmation-Camp sehr stark zu spüren bekommen. Plötzlich kam das Heimweh. Jeden Abend lag ich in meinem Bett mit dem Gedanken an mein Leben zuhause in Deutschland. Ich habe an meine Freunde und Familie gedacht und mich gefragt, ob ich hier wirklich richtig bin. Ich hatte doch eigentlich ein so schönes Leben in Deutschland gehabt. Freiwillig habe ich mich dann von diesem beinahe komplett abgeschnitten und bin hunderte Kilometer weit weggereist. Trotz häufigen Telefonaten und ständigen Austausch via WhatsApp fühlt man sich dann doch manchmal sehr ausgeschlossen. Dann kommen auch Fragen auf, ob man sich in diesem Jahr nicht vielleicht so sehr verändert, dass man bei der Rückkehr überhaupt nicht mehr in das alte Umfeld reinpasst. Vielleicht muss man nach diesem Jahr auch in Deutschland wieder bei Null anfangen. Diese Gedanken haben mich in besagter Woche sehr geplagt. Zudem habe ich mich auch hier manchmal sehr Fehl am Platz gefühlt. Denn obwohl ich bereits zwei Monate hier bin, verstehe ich doch wenig von der Sprache. Natürlich hört man einzelne Wörter raus, um aber den Kontext zu verstehen oder selbst eine Konversation zu führen, reicht es bei Weitem nicht. Die Kultur lerne ich zwar täglich besser kennen, doch gleichzeitig bleibt sie auch irgendwo fremd.
Jedoch ist mir auch bewusst, wie wertvoll so eine Zeit im Ausland ist und wie dankbar ich sein kann, dass mir diese Chance geboten wird. Heimweh und dieses Gefühl nicht hierher zu passen ist schlichtweg normal. Es wäre eher traurig, würde ich das ganze Jahr ohne eine gewisse Sehnsucht nach Hause verbringen.
Was mir geholfen hat, war mir klarzumachen, wo dieses Gefühl herkam: der wenige Kontakt außerhalb des Hauses, so wenig von der Sprache zu verstehen und der abgenommene Kontakt zu den Menschen in Deutschland. Ich habe mich isoliert gefühlt. Also habe ich mich nach einigen Tagen hingesetzt und beschlossen eben diese Faktoren zu ändern. Öfters habe ich also das Haus verlassen. Ich habe mich mit Jugendlichen aus der Gemeinde getroffen und mit ihnen die umliegenden Städte besichtigt. Ende Oktober haben ich und eine meiner Mit-Freiwilligen es auch endlich geschafft, einen ganzen Tag in Göteborg zu verbringen.
Wir haben uns ein paar Sehenswürdigkeiten angeschaut, waren in der Innenstadt bummeln und haben gemeinsam wohl die größte Zimtschnecke gegessen, die ich je gesehen habe.
Parallel habe ich in diesen Tagen den Kontakt nach Deutschland wieder vermehrt. Außerdem habe ich angefangen jeden Abend ungefähr zwanzig Minuten Schwedisch zu lernen, was auch Stand jetzt ziemlich erfolgreich ist. Die schwedische Grammatik ist sehr simpel und viele Wörter ähneln dem Deutschen. Bereits jetzt kann ich viel mehr raushören, wenn ich einer schwedischen Konversation zuhöre. Das Sprechen selbst stellt noch eine große Hemmschwelle dar. Bloß in der Kindergruppe am Donnerstag kann ich gut aus mir rauskommen, da dort bloß wenige Kinder sind und keines von ihnen Englisch spricht. Um mich trotzdem mit ihnen unterhalten zu können, muss ich es dort also auf Schwedisch versuchen.
Gegen Ende des Monats haben wir auch endlich den Second-Hand-Store „Erikshjälpen“ besucht, wo wir ab November auch anfangen werden zu arbeiten. Ich freue mich riesig auf die Arbeit dort, da es mich etwas an meinen alten Nebenjob erinnert. Zudem hat der Second-Hand-Store ein tolles Konzept, was man gerne unterstützt: beinahe alle arbeiten dort auf freiwilliger Basis, alle Einnahmen werden an Kinderhilfswerke gespendet, zudem werden nichtverkaufte Artikel an eine Partnerkette in Estland geschickt und dann dort verkauft.
Mit der Arbeit bei Erikshjälpen und dem angefangenen Konfirmationsunterricht ist unser Kalender diesen Monat doch relativ voll geworden und es bleibt weniger Freizeit als erwartet. Trotzdem werde ich mir wohl bald ein Hobby suchen, um mehr Kontakte zu knüpfen und häufiger aus dem Haus zukommen. So ganz verflogen ist das Heimweh nämlich immer noch nicht. Aber ich lasse nicht mehr zu, dass es meinen ganzen Tag bestimmt. Mehr darüber werde ich jedoch erst nächsten Monat berichten können.
Bis hierhin also:
Ha det bra och hej då!
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